Wenn Kolleg(inn)en träumen…

Der Hörfehler eines altersschwachen Kollegen hatte bereits dazu geführt, dass die Plakate mit dem Motto RHEUMA…SCHON? hingen, entschuldigte sich Jürgen Morgenstern einleitend am 22. Mai zum künstlerischen Abend der Kolleg(inn)en im Rahmen des Projektes „Träum mal schön…!“ (Fotos hier), da habe man nichts mehr daran ändern können. Und so mussten die kreativen Lehrerinnen und Lehrer der IGS Linden zeigen, dass der „falsche“ Titel nicht am Ende doch zutreffen könnte… Dass er es nicht tat, dafür sorgten – nach 2010 und 2012 zum dritten Mal – zwei Dutzend offenbar hochmotivierte Frauen und Männer, deren Alter von Ende 20 bis über 60 keinerlei Rolle spielte. 

Entscheidenden Anteil am Gelingen hatte der Moderator, genauer: die Moderatoren – denn Sascha Schwarze verkörperte kongenial nicht nur den vom letzten Jahr bekannten, obercoolen Straßen-Slang-„Serkan“ („Was geht?!“), sondern auch Talkshow-Komiker Kurt Krömer, der berlinernd-schnoddrig und pseudo-souverän das Programm kommentierte.

Beide Teile des von Marianne Pabst und ihrer AG kulinarisch betreuten Kleinkunstabends wurden vom Kollegiums-Chor (Ltg.: Marcus Altmann) eingerahmt, der Stücke sehr unterschiedlicher Stile zum Besten gab – vom südafrikanischen „The Boat Goes To The Bottom“ über „Belle qui tient ma vie“ aus der französischen Renaissance und dem Fleetwood-Mac-Song „Dreams“ bis hin zum abschließenden, ganz besonders träumerischen Evergreen „Moon River“. Immer wieder übernahmen hier auch einzelne Sänger(inn)en in beeindruckender Weise Solopartien, hervorgehoben seien an dieser Stelle Iris Feise, Lena Mateus Vargas und Ulrike Böger.

Drei szenische Programmpunkte bot der Abend. Tänzer Christoph Schütz (als Gast) bewegte sich mit Jürgen Morgenstern, Kontrabass spielend und singend, auf skurrile Weise „träumend“ durch den Bühnenraum, sie interagierten schelmisch miteinander und mit dem Publikum, das immer wieder überrascht und bestens unterhalten wurde. Träumerisches ganz anderer Art hatte Rudi Pohl mit seiner Ad-hoc-Theatergruppe aus Dylan Thomas’ „Unter dem Milchwald“ zusammengestellt: Nach einer atmosphärisch dichten Einleitung aus dem Off über die Poesie einer Frühlingsnacht zeigten Renate Bastian, Liane Fischer, Anna Mutz, Marcus Altmann, Karsten Böger und Rudi Pohl selber in drei Szenen voller schrägem, britischem Humor die Träume von Ehefrauen und Ehemännern zwischen Ordnungswahn, Mordlust und sexueller Frustration.

Rolf Hackmann versetzte sich und die Zuhörer nicht nur als Rezitator in Heinrich Heines bitter-humorige Deutschland- und Todes-Träume, sondern steuerte auch eine seiner inzwischen bekannten, aus dem ganz realen Leben gegriffenen Haltestellenszenen bei: Kevin (!) versucht Serkan zu erklären, warum er nicht mehr mit der „schwulen Straßenbahn“ fahren will – nämlich wegen eines einschneidenden Erlebnisses, bei dem sein neuerworbenes iPad mit einer sitzplatzbegehrenden Oma in Konkurrenz tritt. Und schließlich gab es aus der Hackmann-Feder die fast real-satirischen „Hauptstadtträume“ über die bei wahren Berlinern verhasste Schwaben-Infiltration („mundartliches Hinterjrundjeräusch“) – vorgetragen von „Kurt Krömer“ und musikalisch garniert vom Chor mit einer „aktualisierten“ Fassung von „Auf der schwäbsche Eisebahn“ und einer schwäbischen Version von Stings „Englishman in New York“, in der die Ländle-Emigranten von ihrem Berlin träumen („so’n Schrippenschrott ess’ ich nie“).

Eine Premiere gab’s – und damit einen ganz besonderen Traum-Akzent: Karsten Böger, assistiert von seiner Frau Ulrike, malte live zur meditativen Musik eines Stückes von J. S. Bach (sanft dahinperlend: Marianne Schöns Flötenspiel), für das Publikum durch eine Beamer-Projektion mitzuerleben. Hier faszinierte vor allem das ästhetische Doppelerlebnis als solches. Farben und Linien, teilweise zwei zur gleichen Zeit, eigene Wege gehend, aber auch sich kreuzend und verschlingend, füllten nach und nach ein weißes Blatt; dabei aber illustrierten sie nicht die Musik, sondern „atmeten“ sie gewissermaßen ein und in verwandelter Art wieder aus. Spürbare Folge: eine intensive, aber nie angestrengte Konzentration der Zuhörer = Zuschauer.

Den sozusagen programmatischen Höhepunkt – in schulpolitischer, IGS- und Inklusions- Hinsicht – setzte ein spritziges Vokalquartett: Lena Mateus Vargas, Julienne Eisenberg, Marcus Altmann und Jürgen Morgenstern intonierten (groovig am Klavier, wie auch bei einigen anderen Stücken: Hans Gierschik) einen Song aus den 80er Jahren, umgetextet und mit dem neuen Titel „Träumen von der IGS-Idee“. Selbstironisch heißt es da z.B.: „Habt ihr’s nun gemerkt, wie der Hase läuft in Linden? Alles geht doch traumhaft, wenn wir uns weiter schinden“. Tja…

Einen musikalischen Hochgenuss bereitete schließlich – einmal mehr – Wiebke Hansen mit ihrem klaren, ausdrucksvollen, in den Bann ziehenden Sopran, die im Laufe des Abends mit drei zur Traumthematik passenden Liedern (am Klavier: Marcus Altmann) das Publikum bezauberte: Camille Saint-Saens’ „La flute invisible“ nach Victor Hugo (mit einer virtuosen Marianne Schön, Flöte), Brahms’ „Unbewegte, laue Luft“ und seine „Mainacht“.

Lang anhaltender Beifall für ein Kollegium, auf das „Kurt Krömers“ Ausspruch zum Motto des Abends nun wahrlich nicht passt: „Pauker wer’n doch quasi alt jeborn, wat wundern se sich über Jebrechen?!“

(M.A.)